Wenn zwei Spieler schon raus sind, kann "man" im Prinzip wissen, welche Karten der Gegner hat und optimal spielen. Die Anzahl mögliche Spielzüge ist für heutige Smartphones in einer genügend kurzen Zeit berechenbar.
Bitte bedenkt, dass euer Gerät immer alle Karten aller Spieler kennt. Der AI-Bot könnte betrügen (schon beim Schupfen) und so VIEL besser spielen. Aber das macht keinen Sinn. Das Merken aller gegangenen Karten ist meiner Meinung nach auch Betrug, da 99.9% aller Menschen dies nur mit einem Tichu-Tracker (den man nebenbei auf einem anderen Gerät füttern kann) schaffen. Auch wenn es machbar ist: Der AI-Bot wird nicht so programmiert, dass er im Spiel um den 3. Platz optimal spielt, indem er die gegnerischen Karten kennt.
Das heisst nicht, dass speziell das Endspiel sehr viel besser werden kann. Die hohen Karten werden, wie mehrfach erwähnt, vorschnell eingesetzt z.B. als 333KK, oder 22 wird mit AA überstochen. Die KI macht auch den Anfängerfehler, nur auf die eigenen Karten zu schauen und passt deshalb viel zu wenig. Woher wissen gute Spieler, was der Partner vermutlich will? Es ist nicht einfach, diese Überlegungen in einen starren Algorithmus oder in Übergangsmatrixen für Erwartungswerte zu pressen.
Kann mir keiner erzählen, dass sich irgendwer alle Karten merken kann bzw. will. Vielleicht gibt es auf tausende Spieler ja einen. Herzlichen Glückwunsch.
Es ist aus meiner Sicht auch nicht notwendig bzw. vermute ich, dass es nicht zu (großartig) besseren Resultaten führt. Auch wenn das ein oder andere Heads-Up mal besser ausgespielt wird, bleiben andere Dinge auf der Strecke. Kosten und Nutzen stehen in keinem Verhältnis. Ich beobachte das schon bei mir selber. In konzentrierten Spielen mit absoluter Ruhe und frischem Kopf bin ich ziemlich gut im Mitzählen. In frühen Spielen gegen gute Leute nutze ich das häufig und lege dann den Schwerpunkt darauf. Manchmal weiß ich genau, ob z.B. ein Drilling 5 durchgeht oder noch geschlagen werden könnte, geschweige denn was an Zehnen, Buben, Damen, Königen, Assen oder Vögeln drinnen ist.
Das ist aber anstrengend und macht weniger Spaß. Wie willst du das als Vielspieler durchziehen? Dann raucht dir abends der Kopf und Tichu wird mit der Zeit Arbeit, was kein gutes Ding für die eigene Psyche ist.
Was in meinen Augen generell wichtiger ist: Wir haben alle nur eine Kapazität von individuellen 100 % in Bestform zur Verfügung. Selbst die erreichen wir meistens nicht. Am Ende des Tages ist deine Kapazität etwas ganz anderes als morgens oder anders ausgedrückt: abends oder wenn du müde, abgelenkt oder schlecht gelaunt bist, stehst du vielleicht vor dem Spiel schon nur bei 70 % oder weniger.
Wenn man sich seine Kapazität als (Energie-)Säule vorstellt, dann nimmt Mitzählen für sich schon einen großen Bereich davon ein. Zudem steigt der Anspruch nicht proportional, sondern quadratisch. Das Gesetz des abnehmenden Ertragszuwachses. Beispiel: Nur 4 scheiß Asse zählen, macht jeder auf einer Arschbacke -> Säule zu 2 % gefüllt. Zählst du alles ab 10, raubt es, in Abhängigkeit vom Intellekt, des Zeitpunktes, der Umstände usw. vielleicht schon zwischen 30 und 100 % deiner Energie; und zählst du alles, bist du im roten Bereich, im Grenzbereich, jeder Ertragszuwachs ist sündhaft teuer und steht in keinem Verhältnis mehr zu dem, was auf der Strecke bleibt. Dann reicht die Säule bei den meisten gar nicht mehr aus, selbst wenn sie sich noch so viel Mühe geben. Du bist klassisch überfordert- und das tritt schnell ein. Denn leider können wir keine Energie herstellen ;-). So oder so,
in diesen Grenzbereichen steigt die Fehlerquote dramatisch. Alles andere bleibt ohnehin auf der Strecke. Denn wie will ich dann alles andere professionell bedienen, wenn keine Energie mehr zur Verfügung steht? Und genau da hakt das System. Ich brauche Energie für mein Gedächtnis: "Ach den, den hatte ich schon zwei Mal als Gegner, der macht immer das und das...der Zug eben wird wahrscheinlich xy bedeuten"..."wieso hat der da eben schon gezögert, der setzt keine Finte, dafür ist er zu dumm, denn ich weiß aus dem gemeinsamen Spiel von vor zwei Wochen, dass der nicht weiß, was er tut... der hat echt ne Bombe und wird vermutlich auf den nächsten Zug spielen, ich kann doch nicht auf dem Hund enden, sondern brauche eine Alternative... du musst noch einmal einzeln anspielen Mate" ..."ich brauche hier trotz Rückstand keinen Stress machen, weil diese beiden Gegner x und y kenne ich, die sagen nie an, mir reicht eine gute Runde, habe Geduld und riskiere nicht zu viel..." oder das Gegenteil "...schöner Vorsprung, aber rechts Mustermann, den kenne ich, der wartet nur auf seine Chance und wird direkt mit einem GT den großen Wurf machen (wollen), auch wenn ich es jetzt eigentlich nicht ansagen wollen würde, muss ich meine Schwelle für das Tichu wohl tiefer setzen, denn ich könnte den Vorsprung brauchen, erhöhen wir das Risiko..." usw. usw.
Deshalb mache ich wesentlich mehr Spiele, bei denen ich unter der Dusche stehe oder sowas und entspanne & dann deutlich laissez-fairer mit diesem ganzen Zählthema umgehe. Ich gewinne auch ohne dieses absolute Wissen die meisten meiner Spiele und Punkt. Dann lege ich den Fokus lieber auf meine anderen Stärken. Die Säule im Blick, darf nicht mehr als ca. 50 % meiner Energie für das Zählen draufgehen. Da zähle ich dann auf entspannter Basis maximal 10+ und jeweils eine Karte von dem was ich nicht habe und habe genug Kapazität für den großen Rest.
Und es ist nicht so, dass ich von diesen Spielen weniger gewinne, da meine Beobachtungsmöglichkeiten und Intuition sehr viel stärker zum Vorschein kommen und den Nachteil des nicht vorhandenen absoluten Wissens über die Kartenverteilung ein gutes Stück weit ausgleichen. Auf einmal ist Luft zum Atmen da und alles andere kann sich viel mehr entfalten. Ich habe lange gemerkt, dass ich diesen Trumpf spielen muss, da ich meine Ausrichtung in diesem Bereich für sehr stark und vor allem exklusiv halte. Wenn ich zwei Mal mit jemandem am Tisch gesessen habe, ist mir die DNA des Spielers bewusst und diese werde ich nicht mehr vergessen. Man glaubt kaum, was das für zukünftige Partien bringen kann...aber.... es erfordert Energie, die nicht für irgendwelche blöden Zahlen in einem dummen Spiel draufgehen darf.
Ich merke auch sofort, wie ich mit mehr Luft zum Atmen sofort beginne wieder viel viel mehr zu beobachten, zwischen den Zeilen zu lesen und über die Spieler nachdenke. Was sie so bisher gemacht haben und auch wie sie in der Vergangenheit immer spielten. Daraus ergeben sich dann häufig Schlussfolgerungen, die sehr oft passen und die anders einfach nicht möglich gewesen wären, weil schlicht die Energie und Zeit gefehlt hätte, wenn ich permanent damit beschäftigt gewesen wäre, jede Zahl in ein System zu pressen und zu zählen.
Grundsätzlich gilt: Viel schlimmer als
nicht genau zu wissen, ob etwas klappen wird, ist, sich zu verzählen und nicht zu wissen, dass es
nicht klappen kann. In letzterem Fall rennt man blind in eine komplette Falle und reißt unter Umständen durch falsche Signale auch noch den Mate mit, anderenfalls wirst du immer eher bedacht an einen Zug herantreten oder einen alternativen Weg einplanen, um dir eine Hintertür offen zu lassen.
Das sind kleine aber feine Nebenaspekte, die man mit einkalkulieren muss. Denn
jeder kann sich verzählen und es passiert oft. Selbst das beste System wird immer noch von einem Menschen verwaltet; und wenn einer 10 Spiele am Tag macht und dann über Stuuunden ca. (10 Spiele *6 Runden/Spiel *4 Spieler * 14Spielkarten/Runde+ 3*10*6 Schupfkarten/Runde gesondert) ~>3500 Karten einsortieren will, der wird er irgendwann seeeeeehr müde und wird kapitale, weil in eigener Auffassung ausgeschlossene, Fehler machen.
Solche Dinge sind wichtiger als das letzte Bisschen Logik. Keiner der Logikgenies hier (z.B. die Mathematiker und Physiker felix, FabianvdW, Heywen) ist ein absoluter Spitzenspieler oder zumindest gibt es da scheinbar keine starke Korrelation. Denn ich weiß von anderen Topspielern, dass der eine mit Kindern in der Erziehung arbeitet und der andere eine Lok durch die Berge fährt. Da erwartet man jetzt keinen Master mit 1,0 in Mathematik wie ihn Fabian hat. Und ja, keine Ahnung, ob die Jungs so schlau sind, wie die Nerds unter uns, aber scheinbar ist das bei Weitem nicht alles.
Es muss locker und intuitiv laufen, anders verschwendet man zu viel Energie mit Rechnen, Merken und Wiederholen.